Vor einiger Zeit habe ich, mit einigen jungen Zeichnern und Malern, das Naturkundemuseum in Wiesbaden besucht. Das Ziel dieses Ausflugs war es neue Motive für unsere Bilder zu finden, unsere Kenntnisse in Proportion und Anatomie zu verbessern, sowie einen schönen Tag als Gruppe zu verbringen.
Als wir im Museum ankamen, zog mich besonders die Tierkundeausstellung an. Es fühlte sich an, als würde die gesamte Evolution mir Modell stehen, und doch war das Erste, was ich an diesem Tag skizzierte, ein simples Huhn. Ein Huhn wie es mir schon duzende male zuvor begegnet war, während nur wenige Räume weiter imposante Präparate, wie ein Eisbär, ein Löwe oder ein Flussalligator auf mich gewartet hätten. Und doch, das Huhn erschien mir in diesem Moment das spannendste zu sein. Den gesamten Tag verbrachte ich damit einen Vogel nach dem anderen in mein Buch zu skizzieren. Es war ein neues, zuvor ungebrauchtes Buch mit dünnen, cremefarbenen Seiten. Auf dem Heimweg war ich fast enttäuscht, die Ornithologieausstellung den Tag über nicht verlassen zu haben, so musste ich doch so viele spannende Motive links liegen gelassen. Doch als ich auf der Zugfahrt das bereits zu einem Viertel gefüllte Skizzenbuch durchblätterte, war ich über jede Minute froh, welche ich mit den Vögeln verbracht hatte. Es hatte so viel mehr Spaß gemacht, als dass ich es von anderen Naturstudien kannte, und ich fragte mich warum. Vögel waren zuvor für mich unscheinbare kleine Lebewesen gewesen, die in meinem Leben keine bedeutende Rolle gespielt hatten.
Und ich denke genau das war es, was seit her mein Interesse an Ihnen geweckt hatte. Sie waren so zweitranging für mich gewesen, dass ich zeichnerisch nie über die schwarzen Bögen am Horizont hinaus gegangen war. Ich hatte mir nie die Zeit genommen einen Vogel genauer zu betrachten, mich zu fragen, wie sich die Farben seines Gefieders zusammensetzten, oder wie dieAnatomie dieses Tieres in verschiedenen Posen umzusetzen war. Es war etwas, was ich zuvor nie gezeichnet hatte. Und darin unterschied sich das Huhn von dem Eisbären, dem Löwen und dem Krokodil. Zu dem Zeitpunkt als mir dies bewusst wurde, hatte ich bereits das halbe Skizzenbuch mit den unterschiedlichsten Vögeln, den heimischen, sowie den tropischen gefüllt und die Skizzen mit Aquarell coloriert. Und ich wollte es erneut versuchen. War jedes gänzlich neue Motiv derart spannend für mich? Ich sah meine gesammelten Bilder durch und überlegte, welches Lebewesen ebenso wenig Beachtung von mir erhalten hatte, wie die Vögel. Bei dem Fund einer alten Zeichnung eines Waldmotivs sah ich ein leeres Spinnennetz und beschloss Gleiches noch einmal mit Insekten zu versuchen.
Heute ist das Skizzenbuch von damals voll. Es hat mir viel Freude bereitet die neuen Formen und Figuren auszuprobieren, die mir das Reich der Insekten und das der Vögel bereitet hat. Seither bereiten mir Naturstudien einen enormen Spaß und mittlerweile kann ich nun auch Frösche, Fische, Kröten und Fledermäuse zu meinen Studien zählen. Ich kann nur jedem einmal empfehlen derart neues auszuprobieren. Und wenn ihr die Chance haben solltet, diese Studien anhand von realen Modellen zu führen, kann ich nur dazu raten.-Joelle